Beziehungen, Geschäfte, Politik, Theater – das Sprechen ist in jeder Lebenslage fundamental. Aber gerade dann, wenn es drauf ankommt, finden wir nicht die richtigen Worte. Denn was wir sagen, hat oft große Auswirkungen. Es verletzt, verunsichert, eskaliert, macht sichtbar, normalisiert, bringt auf und schafft nicht selten mehr Probleme als es lösen kann.
Es wäre ein Irrtum zu glauben, beim Sprechen gehe es nur um Informationsaustausch. Laut Kommunikationstheorie drückt ein Sprechakt immer auch Emotionen aus, reguliert die Beziehung der Sprecher*innen und fordert zu Handlungen auf. Dabei kommt das, was die eine sendet, beim anderen selten so an, wie es gemeint war. Missverständnisse lauern überall.
Nicht zufällig rückt die Frage, wer mit wem wie kommuniziert und nicht kommuniziert, ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen: Wo wir im Netz der Kommunikation stehen, definiert, wer wir im sozialen Gefüge sind. Identitäten, Macht- und Ohnmachtspositionen drücken sich darin aus, wie wir sprechen und wie mit uns gesprochen wird.
Das Sprechlabor erforscht in vier Themenwochen emotionale und persönliche Hemmnisse und Fallstricke der Kommunikation. Zu Wort kommen Menschen, die sich beruflich darauf spezialisiert haben mit schwierigen Situationen kommunikativ umzugehen. Denn Kommunikation findet immer statt, wenn Menschen aufeinander treffen. Das Sprechlabor beschäftigt sich mit Reden in Extremsituationen.
Jedem Gespräch im Sprechlabor steht eine künstlerische Arbeit gegenüber, in der nicht das gesprochene Wort, sondern die sinnliche Erfahrung im Zentrum steht. Vier Künstler*innen (-Gruppen) aus den Bereichen Performance, Tanz, Objekttheater und Installation arbeiten in Kurzresidenzen zu einem der Themen und präsentieren ihre Ergebnisse und Entwürfe als Work in Progress.
Die Gastdramaturg*innen Dandan Liu (Berlin) und Philipp Bode (Hannover/Mannheim) kuratieren und leiten das Sprechlabor.
Auf dieser Seite präsentieren wir einen Rückblick auf das Programm des Sprechlabors.
27.11.
Der Tod stellt uns vor Probleme, lange bevor wir selbst sterben. Im Angesicht sterbender oder trauernder Menschen ringen wir um angemessene Worte – die doch so wichtig sind. Denn wie sollen wir trauern, wie trösten, wie uns erinnern, wenn uns die Worte fehlen?
Gespräch | Multimediale Installation
Cassandra Yousef und Thomas Grün
Mit Thomas Grün (Krankenhaus- und Hospizseelsorger), Cassandra Yousef (Bestatterin), Philippe Mainz (Künstler)
Der Tod ist alltäglich. Und doch fühlen sich die meisten Menschen auf Gespräche mit Sterbenden oder Hinterbliebenen nicht vorbereitet. Wie können sie ihren Angehörigen helfen? Und wie sich selbst? Was Sterbende erleben, lässt sich nur bedingt kommunizieren. Und viele Angehörige fühlen sich zerrieben zwischen Erwartung, Wünschen und Gefühlen.
Auch angesichts des Todes hilft es zu sprechen. Und es gibt Menschen, die sich genau darauf spezialisiert haben. Mit Thomas Grün (Krankenhaus- und Hospizseelsorger, Heidelberg) und Cassandra Yousef (Bestatterin, Berlin) tauschen wir uns aus über das Sprechen mit Sterbenden, über Trauer und Tod.
Das Gespräch findet innerhalb einer multimedialen Installation des Künstlers Philippe Mainz statt, der sich darin unseren Vorstellungen von Zeit und Einheit der Existenz angesichts der Erfahrung von Endlichkeit nähert. Sand, Sound, Licht, Schatten und das zum Gespräch versammelte Publikum treten in ein poetisches Zusammenspiel, das assoziative Bilder entstehen lässt und auflöst.*
Mit: Thomas Grün (Krankenhaus- und Hospizseelsorger, Heidelberg) und Cassandra Yousef (Bestatterin, Berlin)
Moderation und Dramaturgie: Philipp Bode
Installation und Konzept: Philippe Mainz
Assistenz: Isabel Garcia Espino
Termin 27. November 2021, 19 Uhr
Im Anschluss: Feierlicher Abschluß des Sprechlabor
*Die im Monatspogramm für November und im Flyer für das Sprechlabor angekündigte Arbeit von Maren Kaun können wir leider nicht zeigen. Umso mehr freuen wir uns darüber, Philippe Mainz gewonnen zu haben und freuen uns darauf, Maren Kaun in 7 auf 1 Streich und im nächsten Jahr in der Produktion „Haus mit drei Armen“ wieder am Theaterhaus G7 begrüßen zu dürfen.
18./19.09.
Kaum etwas fordert uns so heraus, wie die „falsche“ Meinung der anderen: der Populistin, des rechten Onkels, der dogmatischen Veganerin oder des eingefleischten Neoliberalen. Sie verunsichert uns, sie macht uns hilflos und wütend. Dem Streit aus dem Weg zu gehen scheint schon allein der Nerven wegen angesagt. Aber wo soll es hinführen, wenn wir denen, die anders denken, einfach aus dem Weg gehen?
Tanz
von Catherine Guerin
(c) Alexander Ehhalt
Ein Konflikt ist ein Spiel zweier Körper – doch vergessen wir nicht die dritte Partei: Das Publikum. Aus einer Geste, einer beiläufigen Bewegung entsteht zwischen zwei Körpern eine Spannung, die zum Ausbruch extremer Emotionen führen kann. Aus einem intimen Ringen wird ein Schaukampf und die Zuschauer*innen mit ihren Emotionen sind ganz und gar nicht unbeteiligt. Catherine Guerin konfrontiert in ihrer Choreographie ihre zwei Tänzer*innen und das Publikum mit der Ironie der öffentlichen Zurschaustellung von Eskalation, die verstörend und unangenehm, zugleich sinnlich, verführerisch und unterhaltsam sein kann.
Choreographie: Catherine Guerin
Tanz: Miriam Markl, Lorenzo Ponteprimo
Sound Design: Tobias Schmitt
Dramaturgie: Philipp Bode
Termine: 18. September 2021, 18:30 Uhr und 19. September 2021, 18 Uhr
Gespräch
Mit Melanelle B. C. Hémêfa (Poetess und Blacktivistin), Claudia Funke (Mediatorin) und Dominik Dommer (Polizist und Vorsitzender von PolizeiGrün)
V.l.: Dominik Dommer, Melanelle B. C. Hémêfa, Claudia Funke
Da, wo die Meinungen so sehr auseinander gehen, dass Argumente nicht mehr gehört werden, setzen wir an. Gemeinsam mit streiterprobten Gästen, die beruflich in extrem polarisierten Diskurslagen arbeiten, erforscht das Publikum seine eigene Haltung in zugespitzten Konflikten. Drei Perspektiven im Umgang mit verhärteten Fronten bieten sich uns: Eine Autorin, die in Anti-Rassismus-Workshops ihre eigene Verletzlichkeit aushält; ein Polizist, der im Konfliktfall durchgreifend für Ordnung sorgt und selbst oft genug im Fokus der Kritik steht; eine Mediatorin, die Möglichkeiten der Verständigung sucht, wo Parteien allein nicht weiterkommen.
Moderation: Philipp Bode
Termin: Samstag, 18. September, 20 Uhr
16./17.10.
Es gibt traumatische Erfahrungen, die sich nicht mit Worten fassen lassen und sich der Vorstellungskraft Außenstehender entziehen. Für Betroffene ist das Gespräch schmerzhaft und kann retraumatisieren. Doch gesellschaftliche Aufarbeitung und Reflexion kann es nur geben, wenn über das Unvorstellbare gesprochen wird und wenn es dadurch begreiflich für andere wird.
Installation | Performance
von Naoko Tanaka
Naoko Tanaka (Tokio/Berlin) ist eine interdisziplinär arbeitende Künstlerin, die Licht, Installation und Körper in ein choreographisches und architektonisches Zusammenspiel bringt. 2021 reiste sie in die wieder geöffnete Evakuierungszone Fukushima und traf auf die inzwischen zurückgekehrten Einwohner*innen. In einer performativen Installation beschwört Tanaka persönliche und kollektive Traumata herauf: ein anhaltender Zustand, in dem Innen und Außen, Realität und Fantasie, Sich-nicht-erinnern-wollen und Nicht-vergessen-können permanent ineinandergreifen.
Installation und Performance: Naoko Tanaka
Dramaturgie: Dandan Liu
Termine: 16. & 17. Oktober 2021, jeweils 18.00 Uhr
Gespräch
Mit Petra Ramsauer (ehemalige Kriegsberichterstatterin) und Isaac Chong Wai (Künstler)
Isaac Chong Wai (© Innsbruck International/Mia Maria Knoll) und Petra Ramsauer (© Jacqueliny Godany)
Zwei Grenzgänger*innen werden ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen in asymmetrischen Gesprächssituationen mit uns teilen. Eine Journalistin, die in Krisengebieten arbeitete, und ein Künstler aus Hongkong, der sich mit politischen Themen auseinandersetzt, bringen ihren Blick von außen und ihre eigene Betroffenheit zur Sprache.
Petra Ramsauer berichtete mehr als 20 Jahre für deutschsprachige Medien aus Krisengebieten im Nahen Osten. Isaac Chong Wai (Berlin/Hongkong) verhandelt Themen wie Polizeigewalt, Protestbewegungen und Migration künstlerisch in einem globalen Kontext.
Moderation: Dandan Liu
Termin: 16. Oktober 2021, 20 Uhr
6./7.11.
Verschwörungstheorien breiten sich in überraschender Geschwindigkeit aus. Täglich werden millionenfach neue Narrative, Fake News, Memes und Videos produziert und weitergeleitet. Psychologische Forschung erklärt den Glauben an Verschwörungstheorien u.a. mit der Angst vor Kontrollverlust. Inwiefern jedoch bieten Verschwörungsnarrative Orientierung in unserer komplexen Welt?
Tanz
von Kimberly Kaviar & Zhenya Salinski
Kimberly Kaviar: Leashed Unleashed
Leashed Unleashed bietet uns einen Ausblick auf die Kontrollmechanismen, denen der menschliche Körper unterworfen ist – äußerer Kontrolle ebenso wie innerer Disziplinierung. Die Choreografie ist von Feldrecherchen und Interviews mit Menschen inspiriert, die täglich mit Anpassungen des Körpers an (selbst) auferlegte gesellschaftliche Kontrollmechanismen zu tun haben.
Von & mit: Kimberly Kaviar & Zhenya Salinski
Choreographie & Performance: Simone Gisela Weber & Juan Felipe Amaya Gonzalez (Kimberly Kaviar)
Text & Performance: Zhenya Salinski
Musik und Sound: Friedrich Byusa Blam
Audiovisuelle Gestaltung: Max Wigger
Lichtdesign (Bühne): Timo von der Horst
Bühne: Yoav Admoni
Kostüm: Sara Wendt
Voices: Rachell Bo Clark, Maciej Sado
Produktionsleitung: Sophia Keßen
Dramaturgie: Tim Jakob, Dandan Liu
Beratung: Thomas Schaupp
Termine: 6. & 7. November 2021, 18 Uhr
Als Work in Progress präsentiert beim Performing Arts Festival Berlin 2021. Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Koproduktion Berliner Ringtheater.
Gespräch
Mit Anselm Neft (Autor) und Arne Vogelgesang (Theatermacher und politischer Bildner)
Anselm Neft (Foto: (c) Maren Kachner) und Arne Vogelgesang
Bestätigungsfehler nennt man die menschliche Veranlagung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen bestätigen. Das kann dazu führen, dass Gegenpositionen nicht mehr akzeptiert werden. Um die Mechanismen von Verschwörungsideologien, ihre Verbreitung und ihre Funktion besser zu verstehen, suchen wir den Austausch mit dem Autor Anselm Neft, der in den 90er Jahren selbst mit rechtsradikalen Verschwörungsideologen in Berührung kam, und dem Theatermacher und politischen Bildner Arne Vogelgesang, der sich in mehreren künstlerischen Rechercheprojekten mit der Parallele zwischen Theater, Gamification und Verschwörungsideologien befasst.
Moderation: Dandan Liu
Termin: 6. November 2021, 20 Uhr
Müssen wir denn noch reden? Damit setzen sich 10 Projekte aus den Bereichen Musik, Tanz und Literatur bis hin zur bildenden Kunst auseinander. Sie sind Teil des Kulturförderprogramms Tor 4, mit dem BASF die Kulturorte der Metropolregion Rhein-Neckar als Orte des Dialogs zwischen verschiedenen Lebenswelten stärken möchte. Auch BASF ist Partner dieses Dialogs: Das Unternehmen schreibt jährlich eine gesellschaftlich relevante Fragestellung aus, zu der Institutionen Kunstprojekte einbringen können. Weitere Informationen unter www.basf.de/tor4