In Deutschland wurden die ersten Wahlversammlungen in Kneipen abgehalten. Es floss reichlich Alkohol und nur Männer waren zugelassen. Erst später verlagerten sich die Wahllokale in öffentliche Gebäude und Schulen – und auch die Frauen bekamen das Recht zu wählen. Wir sehen: wer mitmachen kann, hängt auch davon ab, wo Politik stattfindet.
Demokratie, könnte man sagen, ist die Erlaubnis an alle, sich an der Gestaltung des öffentlichen Raums zu beteiligen. Die Erlaubnis, mit seinen Eigenheiten Teil eines Ortes zu werden, ihn zu bewohnen und mitzugestalten, ihn sich zu eigen zu machen, zu einem Ort, der sich wie ein Zuhause anfühlt. Vielleicht funktioniert die Demokratie auch deshalb am besten in kleinem Rahmen, der sich tatsächlich als ein Zuhause gestalten lässt.
Aber ist die Idee der Demokratie, dass jede*r die Würde hat, teilzuhaben, wirklich auf einen Kreis von Betroffenen begrenzbar? Mit der Dynamik in unserem Verhältnis zu Räumen stellt sich auch die Frage nach politischer Teilhabe neu. Das Internet als politisches Forum verbreitet Ideen in Windeseile fast überall hin. Und unsere Entscheidungen betreffen längst nicht mehr nur die Menschen in unserer Umgebung. Wäre es denkbar, in der Welt zuhause zu sein?
Ana Laibach, Vojislav Klačar und Vlatko Ilić, die mit ihren in enger Zusammenarbeit entstandenen Kunstwerken den Theatersaal gemeinsam gestaltet haben, berichten von ihrem Austausch über die Demokratie als dynamische Idee. Nicht die Staatsverfassung, nicht Wahlrecht und Theorie des Extremismus haben ihre künstlerische Brieffreundschaft geprägt – sondern ihre sehr persönliche Haltung zur Frage nach den Möglichkeiten der Teilhabe.
Demokratie ist ein Muskel, der trainiert werden muss. Es hängt nicht allein von den äußerlichen Möglichkeiten ab, ob Menschen politisch Verantwortung übernehmen können und wollen – es ist auch eine Frage der Übung. Darüber, wie wir als Kollektiv und Individuen Demokratie erlernen und einüben, sprechen wir mit der Demokratiepädagogin Christine Achenbach-Carret.
Zeichnung
Fast wie zuhause IV
Von Ana Laibach
„Was macht die Demokratie im Schlafzimmer?“ – Ana Laibach wählt einen sehr persönlichen Zugang. Im künstlerischen Briefwechsel mit Klačar und Ilić lässt sie private Gegenstände aus beiden Sphären aufeinander treffen – Elma, ein Stofftier als Stellvertreterin der Künstlerin in Serbien, zwei Hunde, ein Schrank, ein Bett, Pflanzen – in ihrer monumentalen Arbeit Fast wie Zuhause IV verselbstständigen sich die Dinge, der Prozess des Austausches wird sichtbar, ein neuer Ort entsteht aus realen Elementen zweier privater Räume. Toilette, Küche, Schreibtisch, Schlafnische – eine Einraumwohnung mit allem drum und dran.
Was hat das mit Demokratie zu tun? Die Unsicherheit mit der eigenen Fragestellung verwandelt sich in eine Infragestellung der Unsicherheit. Was zählt, ist das konkrete Tun. Die Entscheidung gegen die Politik im Großen und dafür, „den eigenen Garten zu pflegen“, ist selbst Ausdruck politischer Freiheit. Beginnt die Demokratie nicht bei uns daheim – im Schlafzimmer? Dort wo wir entscheiden, wie und mit wem wir leben und lieben?
Multimediale Installation
Radikalna intimnost
Von Vojislav Klačar & Vlatko Ilić
In ihrer Installation aus Sounds, Bildern, Videos und Objekten betrachten Klačar und Vlatko Ilić das Thema der Demokratisierung und Entdemokratisierung durch die Linse der kritischen Geografie: Wir prägen die von uns bewohnten Orte, doch sie prägen auch uns. Öffentliches und privates Leben hinterlässt seine Spuren in der Landschaft, in der es stattfindet. Jede Begegnung ist intim.
Queeres Leben als ein Leben, das existierende soziale Normen und Symbole nicht reproduziert, steht in ständiger Reibung mit der Umgebung. Sich Orte anzueignen, sie zu verändern und sie auf eine Weise zu kultivieren, die nicht vorhergesehen ist, ist riskant und schafft zugleich die Möglichkeit alternativer Visionen politischer Landschaften.
In Serbien sind die Möglichkeiten für queere Menschen, sich zu artikulieren und politisch für ihre Rechte einzusetzen, sehr begrenzt. Vor dem Hintergrund dieser Situation portraitieren die beiden Künstler im Theatersaal die intime Geschichte eines Ortes, der weder privat, noch öffentlich ist, der für sie ein Zuhause ist und in dem Gäste und Publikum gleichermaßen willkommen wie fremd sein können: ein Haus in der Nähe von Belgrad, das die beiden sich angeeignet und ausgebaut haben. So entsteht eine sehr persönliche Arbeit, die das transformative Potential dessen auslotet, gemeinsam auf der Welt zu sein.
Tor 4 – BASF fördert Kunst Wie geht das neue Wir? Damit setzen sich 11 Projekte aus den Bereichen Musik, Tanz und Literatur bis hin zur bildenden Kunst auseinander. Sie sind Teil des Kulturförderprogramms Tor 4, mit dem BASF die Kulturorte der Metropolregion Rhein-Neckar als Orte des Dialogs zwischen verschiedenen Lebenswelten stärken möchte. Auch BASF ist Partner dieses Dialogs: Das Unternehmen schreibt jährlich eine gesellschaftlich relevante Fragestellung aus, zu der Institutionen Kunstprojekte einbringen können. Weitere Informationen unter
www.basf.de/tor4
Installation, Soundinstallation, Bilder, Video
Vlatko Ilić und Vojislav Klačar
Zeichnung
Ana Laibach
Einrichtung
Ana Laibach, Vlatko Ilić und Vojislav Klačar
Performer
Aleksander Kecman, Petar Ɖurđević
Videobearbeitung
Rastko Ubović
Tonaufnahme und -bearbeitung
Sergej Sokolov
Übersetzung
Nenad Jeremić, Milan Bogdanović
Gespräch mit
Ana Laibach, Vlatko Ilić und Vojislav Klačar
Am 18. März mit
Christine Achenbach-Carret (Demokratiepädagogin, Uni Trier)
Moderation
Philipp Bode
Übersetzung
Silvana Marijanović
Kuration und Dramaturgie
Philipp Bode
Assistenz
Jana Nerz
Termine
Samstag, 18. März 2023, 19 Uhr und Sonntag, 19. März 2023, 18 Uhr
Fotos
Miriam Stanke